Interview mit Herrn Stähr

3. Stock, links, Schutzräume: Chemie & Geographie.
Schüler hassen es, Schüler lieben es.
Da Herr Stähr das Kolleg Schöneberg verlassen und seine Tätigkeit als Lehrer beenden wird, haben wir uns mit ihm getroffen, um ein letztes Mal über seine Schulzeit, seine Zeit als Lehrer und seine Pläne für die Zukunft zu sprechen.

Herr Stähr, vielen Dank für Ihre Zeit und dafür, dass Sie es einrichten konnten. Erinnern Sie sich denn noch an Ihre Zeit als Schüler zurück?

Stähr: Ja, klar. Die Schulzeit ist etwas sehr Prägendes. Manche erinnern sich eher mit gemischten Gefühlen zurück, andere mit Freudigen. Ich bin generell immer gern zur Schule gegangen. Ich war nie ein guter Schüler, immer im Dreier-Bereich, kam aber mit meinen Klassenkameraden gut zurecht und hatte auch ziemlich gute Lehrer. Vielleicht sind diese positiven Erinnerungen auch schlussendlich der Grund, warum ich Lehrer geworden bin.

Hat für Sie die soziale Komponente eine Rolle gespielt?

Natürlich, das war dann vor allem relevant, als ich selbst Lehrer war. Da habe ich wirklich gerne mit Menschen zusammengearbeitet. In der Schulzeit war ich manchmal auch etwas zurückhaltend und eher der schüchterne Typ, das war zum Teil ein bisschen schwierig. Ich bin aber insgesamt gerne hingegangen

Waren Chemie und Geographie schon damals Ihre Lieblingsfächer?

Chemie war schon immer mein Lieblingsfach! Ich hatte damals, wie viele in meinem Alter, mit etwa 10, einen Chemiebaukasten. Habe viel experimentiert und auch die Dachrinne unseres Hauses in Brand gesetzt. Geographie empfand ich in meiner eigenen Schulzeit immer als ziemlich langweilig. Es war bloßes Auswendiglernen von wichtigen Punkten auf der Karte. Wenn wir mit einem Land fertig waren, kam das nächste dran und es ging wieder von vorne los.

Hat sich, aus Ihrer Sicht, etwas verändert am Geographieunterricht?

Ja, wesentlich. Heute geht es nicht nur darum, die Topographie kennenzulernen, sondern auch die Räume, mit ihren jeweiligen menschlichen Interaktionen und Veränderungen, zu betrachten. Das ist ein ganz anderer Ansatz, als den, den ich noch erlebt habe. Heute finde ich das Fach sehr spannend.

Wollten Sie denn schon immer Lehrer werden, oder hatten Sie noch andere Berufe im Sinn?

Ich wollte, glaube ich, nie direkt Lehrer werden.

Wie hat es sich dann für Sie ergeben?

Ich hatte, in der elften Klasse, einen Musiklehrer, der das Fach wirklich spannend gemacht hat. Da habe ich mir gedacht, es wäre doch wahnsinnig toll, Musik zu studieren. Mein Vater kaufte mir dann damals ein Klavier und ich übte jeden Tag fünf Stunden für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule der Künste. Das war allerdings naiv. Die Prüfung war damals schon so schwer, dass ich es nicht geschafft hätte. Dann hatte ich nach dem Abi Chemie studiert. Eine Freundin fragte mich, was ich denn als zweites Fach machen möchte. Wir überlegten und kamen auf Geographie. Da brauchte ich nur fünf Scheine, was gegenüber dem Chemiestudium lächerlich war. So bin ich zur Geographie gekommen. Im Studium war Geographie wahnsinnig spannend, gerade die physische Geographie. Musik hatte ich zwar noch im Hinterkopf, es kam allerdings nie zur Prüfung.

Waren Sie denn auch mal auf einer Schule des ersten Bildungswegs?

Ja, meine Referendariatsausbildung habe ich damals in Zehlendorf gemacht. Das war wirklich nett zur damaligen Zeit. Freundliche, ruhige Schüler. Dann kam ich aufs Kolleg und habe nebenbei noch am Robert-Blum-Gymnasium gearbeitet. Da habe ich dann deutlich gemerkt, wie unterschiedlich das Arbeiten am ersten- und zweiten Bildungsweg sein kann.

Was gefiel Ihnen besonders am Kolleg Schöneberg?

Zum einen ein absolut nettes Kollegium, wo auch mal Trouble und frischer Wind war und sich am Ende trotzdem alle zusammengerauft haben. Zum anderen das Arbeiten mit den Kollegiaten: Das Arbeiten ist einfach ein ganz anderes. Man ist mit den Schülern, bzw. den Kollegiaten, einfach mehr auf Augenhöhe, als wenn man vor einer siebten Klasse steht. Mit Erwachsenen kann man neben dem konzentrierten Arbeiten auch einfach mal ein bisschen Quatsch machen. Das ist bei Kindern oft schwieriger. Außerdem gibt es an der Erwachsenenbildung so gut wie keine Disziplinprobleme, was das Arbeiten leichter macht.

Wo sahen Sie Herausforderungen an Ihrer Arbeit als Lehrer?

Es gibt mehrere Punkte, die für mich eine Rolle spielen. Das eine ist die Heterogenität der Kollegiatinnen und Kollegiaten. Alle kommen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Bildungsbiographien hierher. Die Kollegiatinnen und Kollegiaten haben verschiedene Lernbedingungen und Wissensstände, müssen am Ende aber alle durch das Zentralabitur. Es dort zu schaffen, alle mitzunehmen, ist eine große Herausforderung. Das andere ist das System der Bewertung, bzw. der Benotung. Manchmal sieht man, dass Kollegiatinnen zu Hause noch zwei-drei Kinder haben. Dann kommen neben den Hausaufgaben noch der Haushalt oder der Job dazu, der auch nicht immer einfach ist. Da eine gerechte Beurteilung zu finden, die für alle fair ist, ist schwer.

Was hat Ihnen im Nachhinein am meisten Spaß bereitet?

Ich habe es immer als ein Geben und Nehmen gesehen. Das, was ich weiß, habe ich versucht weiterzugeben. Das hat immer Spaß gemacht. Auch das Experimentieren in Chemie war großartig. Aber ich habe auch ganz viel mitgenommen. Gerade die erwachsene Sichtweise von Kollegiatinnen und Kollegiaten, die auch eine gewisse Lebenserfahrung gesammelt haben, hat mich oftmals weitergebracht. Manchmal finde ich es auch gut, wenn ich gefordert werde. Manchmal sagten Kollegiatinnen und Kollegiaten mir, dass das eine oder andere Material veraltet sei. Sich dann hinzusetzen und neues auszuarbeiten hat mir auch eine ganze Menge beigebracht.

Würden Sie sagen, man lernt selbst etwas, während man anderen etwas beibringt?

Ja, auf jeden Fall. Das ist ein starker Moment des Miteinander-Arbeitens. Da bekomme ich oft selbst viel Input. Ich kann mich entsinnen, als ich mit etwa 30 hier angefangen habe, hatten die meisten noch ein Handwerk gelernt. Da stand ich da mit dem Hochofen und einer sagte mir, dass es doch ganz anders geht. Er kam aus der Praxis, ich kannte nur Theorie. Und dann sollte ich ihm etwas vermitteln…

Sie sind nun seit 35 Jahren Lehrer am Kolleg. Hat sich für Sie in dieser Zeit, in Bezug auf Ihre Kollegen oder den Kollegiatinnen und Kollegiaten, etwas verändert?

Also, ich muss sagen, mein Kollegium liebe ich über alles! Die sind einfach top. Man fühlt sich gut aufgehoben, ist auch gerne im Lehrerzimmer, redet gerne mit den Kolleginnen und Kollegen, das läuft alles super. Ich würde sagen, es hat sich etwas dahingehend verändert, dass zum Zeitpunkt, als ich angefangen habe, die meisten Kollegiatinnen und Kollegiaten noch einen Lehrberuf hatten. Das ist heute eher selten. Allgemein hat sich die Herangehensweise von Kollegiatinnen und Kollegiaten ein bisschen verändert. Oft scheint es mir so, als ob nicht jeder genau wüsste, was er machen möchte, und dann einfach mal den zweiten Bildungsweg ausprobiert. Manche kriegen das super hin, andere haben Probleme, sich wieder an diesen Tagesbetrieb zu gewöhnen. Das war früher schon anders. Ich denke allerdings, dass es insgesamt ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist.

Wie stehen Sie denn zum Thema Digitalisierung? Hat das Auswirkungen auf die Art vom Unterrichten, bzw. auf das Vermitteln von Wissen gehabt?

Ach ja, einige meinen, einen großen Bildungsfortschritt in der Digitalisierung zu sehen. Ich finde es oft auch toll, Power Points zu entwerfen, glaube aber nicht, dass der Lernzuwachs dadurch ein großartig anderer geworden ist. Für meine Begriffe wird es ein bisschen überschätzt. Manche Fähigkeiten, wie z.B. die Schreibfähigkeit, leiden auch darunter.

Möchten Sie mit uns noch eine Anekdote teilen, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

Es gibt zwei Sachen, die mir da einfallen. Zum einen habe ich 1992 meinen ersten Geographiekurs durch das Abitur gebracht. Mit denen habe ich damals eine Kursfahrt gemacht. Darauf folgte eine weitere Kursfahrt und es ergab sich, dass wir bis heute noch zusammen Kursfahrten machen. Inzwischen sind das enge Freunde von mir. Weiterhin fällt mir noch mein erster Unterrichtstag ein. Ich kam in den Raum, Chemiekurs, Einführungsphase, war 30 Jahre alt, steht ein Kollegiat da, ich stelle mich neben ihn, wollte auch meine Sachen auspacken und er fragte mich, ob ich denn was von dem neuen Chemielehrer gehört hätte und wie der denn so sei. Ich sagte ihm nur, ich hätte keine Ahnung, wie der ist. Ich setzte mich dann auf meinen Platz und wir beide mussten lachen. Das war wirklich nett.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

Im Wesentlichen habe ich noch keinen konkreten Plan. Ich habe sieben Enkelkinder, da ist auf jeden Fall genug Beschäftigung. Das mache ich auch total gerne. Ansonsten mache ich Musik, spiele Klavier und könnte mir vorstellen, Klavierunterricht zu geben, da mir das Unterrichten auch einfach Spaß macht. Zum anderen habe ich in den letzten anderthalb Jahren angefangen zu schreiben. Am Anfang dachte ich, dass das überhaupt nicht gehen würde, aber ich finde es total spannend, Texte zu verfassen. Es sind vor allem Kurzgeschichten. Im letzten Jahr habe ich 300 Seiten geschrieben, aber was ich damit mache, ist mir noch unklar. Ansonsten werde ich mich wahrscheinlich noch in Interessensgruppen oder anderen Organisationen engagieren. Da gibt es unendlich viel, was man machen kann, und ich brauche auch einfach den Kontakt zu Menschen.

Möchten Sie Kollegiatinnen und Kollegiaten für die Zukunft mit etwas auf den Weg geben?

Naja, ich finde es immer schwer, dazu etwas zu sagen. Wenn ich etwas mitgeben würde, wäre es, die Bildungsangebote, die wir haben, zu nutzen. Bildung ist einfach wichtig. Gestern hörte ich, dass es nur in Deutschland, in einem Jahr, 50.000 Schüler gab, die abgebrochen haben. Da sehe ich auch einfach die Wichtigkeit des zweiten Bildungswegs. Machen Sie etwas für die Bildung, gehen Sie in die Bildung. Das ist das Wichtigste, was wir überhaupt haben. Wenn man die Bildung schleifen lässt, hat man schon vieles verloren.